AWO-Geschichte
 

1856 legten die Brüder Simson durch den Ankauf von Eisenhammerwerken den Grundstock zu einem Unternehmen im thüringischen Suhl, das schon bald zu einem der größten Gewehr-Hersteller werden sollte. Daneben begann man 1896 mit der Herstellung von Fahrrädern und 1909 mit Automobilen. Die Rüstungsproduktion blieb allerdings der wichtigste Sektor des Familienbetriebs. Schon bald nach dem Wahlsieg der NSDAP, wurde die Familie Simson enteignet. Die Nationalsozialisten nahmen eine Umbenennung des Werks in "Berlin - Suhler Waffen und Fahrzeugwerke GmbH" mit dem Markenzeichen BSW vor. Neben Waffen, Fahrrädern und Kinderwagen baute man dort ab 1936 bis 1941 9.000 "Motorfahrräder" mit 98 cm³. 1945 wurde der Rüstungsbetrieb durch die sowjetische Besatzungsmacht demontiert und alle modernen Gebäude gesprengt. Doch noch im gleichen Jahr nahm das Werk die Produktion von Jagdgewehren, Fahrrädern und Kinderwagen als Reparationsleistungen wieder auf. Mittlerweile im Jahr 1948 war der Betrieb unter dem neuen Namen "Suhler Fahrradfabrik" in die sowjetische Aktiengesellschaft "Awtowelo" eingegliedert worden.

 

AWO 425T

 AWO 425-Tourenmodell
 

Ende 1948 erhielt der Suhler Betrieb von der Hauptverwaltung der sowjetischen Aktiengesellschaften in Berlin-Weißensee eine Direktive zur Entwicklung eines allradgefederten 250ccm Einzylinderviertaktmotorrades mit Wellenantrieb zum Hinterrad. Sämtliche Detailvorgaben, sogar die Leistung von 12 PS bei 5.600/min glichen wie das Hub/Bohrungsverhältnis von je 68 mm jenen der BMW R 25, die erst 1950 auf dem Markt erscheinen sollte. Bald hatte das Kind auch einen Namen: AWO 425 (AWO stand für AWTOWELO, 4 für Viertakt und 25 für 250 cm³). Drei Vorserienmuster wurden 1949 fertiggestellt.

 

AWO 425 T mit Seitenwagen Stoye I

AWO 425-Tourenmodell mit Stoye I -Seitenwagen

 

Am 1. Mai 1950 präsentierte die Suhler Belegschaft die Nullserie von 25 Maschinen. Am Ende der Kurbelwelle übertrug eine Trockenkupplung die Kraft an ein Vierganggetriebe. Am Getriebeausgang glich eine Hardyscheibe die (durch Federungsbewegungen des Hinterrades) unterschiedlichen Anstellwinkel der Kardanwelle aus. Bis hierhin hätte die Technik auch von BMW stammen können. Doch die thüringischen Motorradbauer übertrafen ihre Kollegen mit einigen AWO-typischen Details: So wurden die Ventile durch teure Haarnadelfedern in ihren Sitz zurückgeholt. Um den Motor optisch glattflächiger erscheinen zu lassen, werkelten die Stößelstangen verdeckt in einem Schacht auf der linken Seite des Zylinders. Ein Magnet ergänzte die Gleichstromlichtmaschine und sorgte für den Zündfunken Mittlerweile war das Werk keine sowjetische AG mehr, sondern seit dem 1. Mai 1952 ein Volkseigener Betrieb ("VEB") der DDR. Die Firmenbezeichnung sollte noch einige Male wechseln, die Maschinen aber bis 1957 die Bezeichnung AWO führen. Ab 1957 wurde der alte Name Simson wieder eingeführt.

 

AWO 425 S

Simson/AWO 425-Sportmodell 15,5 PS
 

Ein moderneres Motorrad, dessen Bauprinzipien auf die alte AWO zurückgingen, präsentierten die Suhler zu Weihnachten 1955: Die volkstümlich "Sport-AWO" genannte AWO/ Simson 425 S (=Sport). Das alte Modell blieb im Programm und erhielt zugunsten besserer Unterscheidung die Bezeichnung AWO 425 T (=Touren). Im neuen Doppelrohrrahmen ergänzten sich eine hydraulisch gedämpfte Telegabel mit 150 mm Federweg und eine Hinterradschwinge mit hydraulisch gedämpften Federbeinen und 100 mm Federweg zu exzellentem Fahrkomfort. Die Räder hatten 18 Zoll Durchmesser und besaßen Leichtmetallvollnabenbremsen mit 180 mm Durchmesser. Der Tank fasste 16 l Kraftstoff, die elektrische Anlage und das Getriebe waren unverändert, während man dem Motor etliche Verbesserungen angedeihen ließ: Die Kipphebel waren nadelgelagert und der Einlasskanal war nicht mehr so stark geknickt und aufgebohrt. Diese Veränderungen brachten in Verbindung mit einem Ansaugkasten, dem 25 mm Vergaser und einer Verdichtung von 7,2 14 PS bei 6.300/min. Die Maschine war damit weltweit eine der attraktivsten 250er und wurde mit überlegter Modellpflege genau wie das „T"-Modell bis zur Produktionseinstellung Ende 1961 gebaut. Kapazitätsprobleme zwangen nach 124.000 T- und 84.600 S-Modellen zur Einstellung des Motorradbaus in Suhl. Fortan wurden dort nur noch Jagdwaffen und hubraumkleine Zweitakter gebaut.

von Andy Schwietzer